Der aktuelle Referentenentwurf zur Änderung des Medizinal-Cannabis-Gesetzes sorgt für Bewegung: Künftig könnte die Verordnung von medizinischem Cannabis nur noch nach einem persönlichen Arztkontakt möglich sein. Außerdem soll der Online-Versand über Apotheken untersagt werden. Was genau geplant ist und welche Auswirkungen das haben könnte, erläutert dieser Beitrag.
Was ist neu?
Die raschen Entwicklungen auf dem Markt für Medizinal-Cannabis haben den Gesetzgeber bewegt Änderungen am bestehenden Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) anzustoßen. Hehres Ziel des Gesetzes ist die Sicherstellung eines umfassenden Gesundheitsschutzes – für Personen, die aus medizinischer Perspektive auf Cannabis angewiesen sind, sowie für all jene außerhalb dieses Personenkreises.
Stein des Anstoßes scheinen mitunter Online-Plattformen zu sein, die eine neue Form der Versorgung mit medizinischem Cannabis zum Gegenstand haben. Diese Modelle funktionieren regelmäßig wie folgt: Interessierte Personen füllen online einen medizinischen Fragebogen aus. Ein Arzt wertet ihn aus. Auf dieser Grundlage erstellt der – ggf. auch im Ausland ansässige – Arzt eine Verschreibung für den Patienten oder verweist ihn an niedergelassene Praxen. Wird ein Rezept ausgestellt, kann es regelmäßig online oder in einer Apotheke vor Ort eingelöst werden. Hierbei handelt es sich in der Regel um Selbstzahlerleistungen, d.h. der Patient zahlt die ärztliche Behandlung und das Cannabis auf Basis eines Privatrezeptes.
Die dargestellte Form der Verschreibung ohne persönlichen Vor-Ort-Kontakt zwischen Arzt und Patient sowie die Einlösung der auf diese Weise ausgestellten Rezepte trifft auf Kritik – unter anderem seitens Apothekerverbänden und Ärztekammern. Diese Kritik wurde vom Gesetzgeber aufgenommen und im besagten Gesetzesentwurf dahingehend abgebildet, dass insbesondere folgende Regelungen eingeführt werden sollen:
- Verpflichtung zum persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient bei erstmaliger Verschreibung von Medizinal-Cannabis und bei Folgeverschreibungen jeweils innerhalb von vier Quartalen.
- Untersagung des Inverkehrbringens von Medizinal-Cannabis-Blüten im Wege des Versandhandels
Bisherige Rechtslage
In Deutschland ist Medizinal-Cannabis seit dem 1. April 2025 aus dem Betäubungsmittelkatalog entfernt worden. Seit Inkrafttreten des Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) wird medizinisches Cannabis als verschreibungspflichtiges Arzneimittel eingestuft.
Seitdem stiegen die Importzahlen stark an und es entwickelte sich ein relevanter Online-Markt für Medizinal-Cannabis. Diverse Startups, die mit digitalen Plattformen die Verordnung und Abgabe von medizinischem Cannabis niedrigschwellig möglich machen, konnten sich etablieren. Als Reaktion auf beschriebene Entwicklungen folgte der aktuelle Referentenentwurf.
Pflicht zu persönlichen Konsultationen
Sollte der Gesetzsentwurf in der Entwurfsfassung in Kraft treten, würde ein persönlicher Kontakt zwischen Arzt und Patient bei erstmaliger Verschreibung von Medizinial-Cannabis erforderlich werden. Folgeverschreibungen bedürften entweder einer persönlichen Konsultation in derselben Praxis, durch einen Hausbesuch oder mittels telemedizinischer Beratung. . Innerhalb von vier Quartalen müsste aber jeweils mindestens ein Vor-Ort-Kontakt in der Praxis stattfinden.
Die Folgeverordnung müsste zwar nicht höchstpersönlich durch denselben Arzt, aber durch dieselbe Praxis vorgenommen werden, in der Patient und Arzt miteinander persönlich in Kontakt getreten sind. Die Gesetzesbegründung lässt Verschreibungen durch eine Gemeinschaftspraxis genügen, worunter Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) oder medizinische Versorgungszentren (MVZ) fallen. Folglich könnte das Medizinal-Cannabis bei kontinuierlicher Behandlung durch einen beliebigen anderen Arzt dieser Einrichtungen – vorausgesetzt er verfügt über die medizinische Qualifikation – und bei überörtlichen Zusammenschlüssen auch unabhängig vom Standort verschrieben werden. Für ein solches Verständnisses spricht unter anderem der Normzweck: Es ist ausschlaggebend, dass der Patient „bekannt“ ist, was durch die Zugriffsmöglichkeit auf die lokale Patientenakte und Dokumentationen sowie Rücksprachemöglichkeiten mit dem „Erstverschreiber“ innerhalb der Einrichtungen gewährleistet wird.
Verbot des Versandhandels
Die weitere elementare Änderung stellt das Verbot des Versandhandels für medizinische Cannabis-Blüten dar. Ein Verstoß hiergegen ist nach aktueller Fassung des Entwurfs strafbewehrt und kann mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden. Bei Inkrafttreten des Gesetzes wären Apotheken verpflichtet die bislang angebotenen Blüten aus ihrer Online-Produktpalette für den Versand von Arzneimitteln zu nehmen. Auf die heilmittelwerberechtliche Zulässigkeit der Darstellung des Angebots von Medizinal-Cannabis soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.
Implikationen des neuen EuGH-Urteils zu grenzüberschreitender Telemedizin
Zusätzliche Brisanz erhält der Entwurf durch ein kürzlich ergangenes EuGH-Urteil (C-115/24) zu grundsätzlichen Fragen der grenzüberschreitenden Telemedizin. Der EuGH hat insofern entschieden, dass bei grenzüberschreitenden Behandlungen grundsätzlich das Leistungsrecht des Landes anzuwenden ist, in dem der Gesundheitsdienstleister seinen Sitz hat – und nicht das Land, in dem der Patient lebt. Übertragen auf die Fragestellungen, die der Referentenentwurf zum MedCanG aufwirft, ergeben sich verschiedene Fragen: Dürfen Ärzte aus dem Ausland – die nach ihrem nationalen Recht zulässigerweise ohne persönlichen Vor-Ort-Kontakt mit dem Patienten medizinisches Cannabis verordnen dürfen – künftig telemedizinisch dies auch weiterhin für in Deutschland ansässige Patienten tun – während dies den in Deutschland ansässigen Ärzten untersagt wäre? Müssten und dürften deutsche Apotheken solche Rezepte einlösen? Und wie dürfte für solche Konzepte zulässigerweise geworben werden?
Fazit
Die Kombination aus Referentenentwurf und jüngster EuGH-Rechtsprechung zeigt, wie komplex und dynamisch das regulatorische Umfeld derzeit ist. Viele Fragen bleiben vorerst offen – von der praktischen Handhabung telemedizinischer Verordnungen über die Abgrenzung nationaler Zuständigkeiten bis hin zu Werbemöglichkeiten. Sowohl der Referentenentwurf aber auch öffentliche Äußerungen der Bundesgesundheitsministerin Nina Warken und des Beauftragen der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Hendrik Streeck, lassen darauf schließen als würde die neue Bundesregierung einen weniger liberalen Weg in der Cannabis-Politik einschlagen wollen. Ob es eine Neuausrichtung gibt, wie diese aussehen wird und ob sie sich auch auf Medizincal-Cannabis erstreckt, ist noch unklar. Aus dem Bundesministerium für Gesundheit wird auf die derzeitige Gesetzesevaluierung verwiesen. Unternehmen wie Leistungserbringer sind daher gut beraten, die Entwicklungen frühzeitig im Blick zu behalten und ihre Handlungsoptionen rechtlich sorgfältig zu prüfen.
Die im Referentenentwurf vorgesehenen Beschränkungen für Verordnung und Versand von Medizinal-Cannabis würden sich massiv auf die Versorgung der Patienten – insbesondere in ländlichen Gebieten mit niedriger Arzt- und Apothekendichte auswirken. Auch dürften sich für Unternehmen, die sich auf die telemedizinisch gestützte Cannabis-Versorgung spezialisiert haben, spürbare Konsequenzen ergeben und würden eine relevante Umstrukturierung des bisherigen Modells bedeuten. Ebenfalls Versandapotheken würden in ihrem Online-Angebot und ihrem Absatz erheblich eingeschränkt. Letztlich wird von verschiedenen Seiten argumentiert, dass hierdurch eine Erstarkung des Schwarzmarktes für Cannabis mit qualitativ nicht kontrollierten Blüten verbunden wäre.
Es bleibt indes abzuwarten, ob die geplanten drastischen Änderungen tatsächlich umgesetzt werden oder mit mehr Augenmaß agiert wird, um eine qualitativ hochwertige und damit sichere Versorgung der Patienten, die auf medizinisches Cannabis angewiesen sind, anderweitig sicherzustellen.
Ausblick
Der Referentenentwurf markiert die erste schriftliche Fassung eines Gesetzes noch vor Beginn des parlamentarischen Verfahrens. Die Vorlage soll in der Kabinettssitzung ama 8. Oktober 2025 beraten werden. Es folgen Anhörungen, Mitberatungen und der Kabinettsbeschluss, ehe Bundestag und Bundesrat das eigentliche Verfahren eröffnen. Dieses dauert im Schnitt vier bis sieben Monate und führt bei Zustimmung zur Ausfertigung des Gesetzes. Weitere Änderungen sind daher wahrscheinlich; ein genauer Zeitpunkt des Inkrafttretens ist derzeit nicht absehbar.
Unternehmen, die bislang von der geltenden Gesetzeslage profitiert haben, sollten sich auf mögliche Änderungen vorbereiten und prüfen lassen, ob und in welcher Form ein rechtliches Vorgehen gegen das Gesetz sinnvoll ist.