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11. Juni 2021

Autotech & Mobility – 3 von 6 Insights

Versicherungsrechtliche Aspekte bei autonom fahrenden Kfz

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Autor

Dr. Gunbritt Kammerer-Galahn

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Insbesondere für die Kfz-Versicherer wird sich zukünftig die Frage stellen, wie der Versicherungsschutz für teil- oder vollautonom fahrende Kfz zum privaten Gebrauch auszugestalten ist: Die Haftung des Halters bzw. der Halterin durch die Gefährdungshaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG ist derzeit klar geregelt; und diese Regelung findet sich EU-weit in allen Mitgliedstaaten. Es stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang der Kfz-Versicherer des Halters bzw. der Halterin bei dem Kfz-Hersteller Regress nehmen kann, wenn nicht ein Verhalten des Halters bzw. der Halterin, sondern die Technik des autonom fahrenden Kfz den Schaden verursacht hat.

Diese Frage berührt zugleich den Produkthaftpflichtversicherungsschutz des Kfz-Herstellers. Der deutsche Gesetzgeber führte im Rahmen der Änderung des StVG im Jahre 2017 noch lapidar aus, "dass die Haftpflichtversicherung des Halters bzw. der Halterin und die Versicherung des Herstellers klären, wer im Ergebnis die Kosten des Unfalls zu tragen hat." Der aktuelle Entwurf des „Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und des Pflichtversicherungsgesetzes – Gesetz zum autonomen Fahren“ vom 9. März 2021 (BT-Drs. 19/27439) regelt die vierte der fünf Kfz-Automatisierungsstufen: Demnach kann sich das Fahrzeug in bestimmten Betriebsbereichen ohne Fahrer bzw. Fahrerin bewegen. Anstelle eines Fahrer bzw. einer Fahrerin soll nach § 1d Abs. 3 StVG-E eine „Person der Technischen Aufsicht“ eingesetzt werden, die das Fahrzeug während des Betriebs gemäß § 1e Abs. 2 Nr. 8 StVG-E deaktivieren und nach § 1e Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 StVG-E Fahrmanöver freigeben kann, um den sogenannten risikominimalen Zustand herbeizuführen (§ 1d Abs. 4 StVG-E). Nach der im Gesetzes-Entwurf vorgesehenen Änderung des § 1 PflVG hat der Halter bzw. die Halterin eines Kfz mit autonomer Fahrfunktion die Pflicht, „eine Haftpflichtversicherung gemäß Satz 1 auch für eine Person der Technischen Aufsicht abzuschließen und aufrechtzuerhalten.“ Weiterhin sieht der Gesetzentwurf verdoppelte Haftungshöchstbeträge im Rahmen der Halterhaftung für alle autonomen Fahrzeuge vor.

Regelungen zum Haftungsregime im Hinblick auf den Hersteller des Kfz sieht der Gesetzes-Entwurf bislang nicht vor. Auch ist noch nicht abzusehen, wann mit der Regulierung der fünften der fünf Kfz-Automatisierungsstufen, also dem vollständig autonom fahrenden Kfz, zu rechnen sein wird. Aus Gründen des europarechtlich harmonisierten Unfallopferschutzes (s. Sechste KH-Richtlinie 2009/103/EG vom 16. September 2009) erscheint es sinnvoll, dass der Kfz-Haftpflichtversicherer auch bei selbstfahrenden Kfz weiterhin die erste Anlaufstelle des Geschädigten bleibt und den Schaden unmittelbar zu regulieren hat: Zentraler Gegenstand der europäischen Harmonisierung ist der Direktanspruch des Geschädigten gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des Halters bzw. der Halterin des den Unfall verursachenden Kfz innerhalb der EU. Demnach hat der Geschädigte gegen den Halters bzw. die Halterin einen verschuldensunabhängigen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG sowie einen Direktanspruch gegen den Kfz-Versicherer des Halters gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG und bei Technikversagen gegen den Hersteller einen Anspruch aus Produkthaftung gemäß § 1 ProdHaftG. In § 115 Abs. 1 Satz 4 VVG ist bereits eindeutig geregelt, dass Halter bzw. Halterinnen und Versicherer als Gesamtschuldner haften; der Anspruch gegen den Hersteller aus ProdHaftG ist im Hinblick auf die Gesamtschuldnerhaftung allerdings bislang nicht gesetzlich erfasst. Macht der Geschädigte seinen Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG gegen den Halter bzw. die Halterin geltend, stellt der Kfz-Haftpflichtversicherer diesen nach § 100 VVG gegenüber dem Geschädigten frei, und der Anspruch des Geschädigten gegen den Hersteller aus Produkthaftung bzw. Deliktsrecht sollte gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB auf den bzw. die Halterin und sodann gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf den Kfz-Haftpflichtversicherer übergehen, welcher den Hersteller und ggfs. (unter Abtretung des Freistellungsanspruchs aus § 100 VVG i.V.m. Ziffer 5.1 AHB) den Produkthaftpflichtversicherer des Herstellers in Regress nehmen kann. Hierbei werden sich dann regelmäßig Beweisfragen stellen.

Dies sieht auch der deutsche Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem vorerwähnten Gesetzesvorhaben. Der Bundesrat empfiehlt in seiner Stellungnahme vom 1. April 2021 (BT-Drs. 19/28178), dass perspektivisch weitere Überlegungen im Zusammenhang mit dem autonomen Fahren bei den Verhandlungen auf europäischer Ebene zur Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie sowie zur Schaffung eines EU-Rechtsrahmens für künstliche Intelligenz in den Blick genommen werden:  Beim autonomen Kfz sei stets die Ursächlichkeit eines Produktfehlers denkbar, dessen Vorhandensein und Unfallursächlichkeit aufgrund der Besonderheiten der Technologie (Komplexität, „Opazität“ und Autonomie) im Rahmen der Geltendmachung eines produkthaftungsrechtlichen Anspruchs gegen den Hersteller nur sehr schwer dem Vollbeweis zugeführt werden können. Es sei im Blick zu behalten, dass die beweisrechtliche Lage im Rahmen der Produkthaftung nicht nur für individuelle geschädigte Halter bzw. Halterinnen eine Rolle spielt, sondern auch für Kfz-Haftpflichtversicherer, die im Außenverhältnis Leistungen erbracht haben und einen etwaigen übergegangenen produkthaftungsrechtlichen Anspruch des Geschädigten im Regressweg geltend machen wollen. Klarstellungen und Vereinheitlichungen in diesem Bereich könnten auch die Risiko- und Lastenverteilung im Verhältnis zwischen Versicherern und Herstellern weiter austarieren und an die Besonderheiten der komplexen neuen Technologie anpassen – stets unter Belassung hinreichender Exkulpationsmöglichkeiten des Herstellers. Gezielte beweisrechtliche Anpassungen wie eine Vermutung von Produktfehler und Ursächlichkeit etwa bei „Ein-Kfz-Unfällen“ ohne Beteiligung eines anderen Verkehrsteilnehmers könnten laut Bundesrat beispielhaft in Betracht zu ziehen sein. Der Bundestag nimmt den Vorschlag ausdrücklich zur Kenntnis, weist zugleich aber darauf hin, dass die aktuelle Gesetzesinitiative tatsächlich (nicht durch private Personen betriebene) Shuttle-Fahrzeuge im Fokus habe. Es ist somit in naher Zukunft noch nicht mit den vom Bundesrat zu Recht empfohlenen Klarstellungen im Produkthaftpflichtrecht zur Erleichterung der Regressnahme der Hersteller von autonom fahrenden Kfz durch Kfz-Haftpflichtversicherer zu rechnen.

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