Bundeskartellamt verhängt Geldbußen gegen Sennheiser und Sonova wegen Preisbindung
Am 16. April 2025 hat das Bundeskartellamt gegen die Sennheiser electronic SE & Co. KG und die Sonova Consumer Hearing Sales Germany GmbH sowie gegen drei an deren Vertrieb tätige Personen Geldbußen in Höhe von insgesamt 6 Millionen Euro verhängt. Die Behörde stellte fest, dass beide Unternehmen systematisch Wiederverkaufspreise für Premium-Kopfhörer der Marke Sennheiser festgesetzt hatten, was gegen deutsches und EU-Wettbewerbsrecht verstößt.
Sennheiser hatte ein selektives Vertriebssystem betrieben, bei dem autorisierte Händler bestimmte Qualitätskriterien erfüllen mussten. Ab 2015 überwachte Sennheiser die Online-Verkaufspreise mit einer speziell entwickelten Software und Internet-Preisvergleichstools. Diese Überwachung diente nicht nur der Marktbeobachtung. Sennheiser nutzte die Daten vielmehr, um nicht genehmigte Abweichungen von den empfohlenen Verkaufspreisen (UVP) zu ermitteln und dann – oft indirekt – durch Kontaktaufnahme mit Händlern, deren Preise als zu niedrig angesehen wurden, einzugreifen.
Obwohl Sennheiser es vermied, Wiederverkäufer direkt zur Preiserhöhung aufzufordern, machten interne Kommunikationsmuster und eine verschlüsselte Sprache die Absicht solcher Interventionen unmissverständlich. Die Mitarbeiter wurden ausdrücklich darin geschult, sich auf die Einhaltung der selektiven Vertriebskriterien zu beziehen, anstatt auf die Endverbraucherpreise. Diese internen Richtlinien basierten auf einer rechtlichen Schulung, wurden in der Praxis jedoch dazu verwendet, wettbewerbswidriges Verhalten zu verschleiern. Das Ziel war es, illegale RPM als rechtmäßige Vertragsdurchsetzung erscheinen zu lassen.
Diese Praxis wurde auch nach dem Verkauf des Geschäftsbereichs Consumer Hearing durch Sennheiser an die Sonova AG (Schweiz) im März 2022 fortgesetzt. Die Sonova-Tochtergesellschaften in Deutschland setzten die RPM-Praktiken fort, wenn auch in geringerem Umfang. Die Untersuchung des Bundeskartellamts wurde durch ein Amtshilfeersuchen der österreichischen Wettbewerbsbehörde ausgelöst und gipfelte in einer Durchsuchung im September 2022.
Das Verfahren wurde eingestellt. Sowohl Sennheiser als auch Sonova kooperierten uneingeschränkt, was die Behörde bei der Berechnung der Geldbußen berücksichtigte. Gegen die beteiligten Einzelhändler wurden keine Geldbußen verhängt, da das Bundeskartellamt die Hauptverantwortung den Herstellern zuwies.
Praktische Schlussfolgerungen für den Vertrieb und die Einhaltung des Wettbewerbsrechts
- Die Preisbindung bleibt auch im Rahmen des selektiven Vertriebs ein zentraler Verstoß gegen das Kartellrecht gemäß Artikel 101 Absatz 1 AEUV und § 1 GWB.
- Digitale Überwachungsinstrumente wie Preis-Crawler und automatisierte Screenshots erhöhen das rechtliche Risiko, wenn sie zur Erleichterung oder Durchsetzung von UVP eingesetzt werden.
- Indirekte Formulierungen und interne „Compliance-Kodizes” können Hersteller nicht vor der Haftung schützen, wenn die tatsächliche Wirkung eine Preisbindung ist.
- Wettbewerbswidriges Verhalten kann sich auch nach einer Übernahme fortsetzen, sodass Compliance-Due-Diligence-Prüfungen und Audits nach der Fusion unerlässlich sind.
- Luxus- und Premium-Produktsegmente sind von der strikten Durchsetzung vertikaler Beschränkungsvorschriften nicht ausgenommen.
- Interne Schulungen und Workshops können, wenn sie zur Entwicklung von Umgehungsstrategien genutzt werden, die kartellrechtliche Haftung eher verschärfen als mindern.
Weiterführende Literatur: Wenn Sie an der Gestaltung oder Überprüfung von selektiven Vertriebssystemen, Preispolitiken oder Dual-Vertriebsmodellen in Europa beteiligt sind, finden Sie detaillierte und praktische Hinweise in: Benedikt Rohrßen, „Vertrieb in Europa – Rechtssichere Gestaltung von Vertriebssystemen und Handelsverträgen”, Springer, 2023, hier über SpringerLink verfügbar