Die Europäische Kommission hat am 21. Mai 2025 ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgestellt, das darauf abzielt, die regulatorischen Rahmenbedingungen für Unternehmen in der EU zu modernisieren und insbesondere Start-ups, Scale-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zu stärken. Für Unternehmen der IT-, Tech- und Digitalwirtschaft ergeben sich daraus konkrete legislative Änderungen und strategische Neuausrichtungen mit potenziell signifikanten Auswirkungen.
Kernpunkte der legislativen Vorschläge
Neue Definition für "Small Mid-Caps" (SMC): Die Kommission hat eine Empfehlung für eine harmonisierte Definition von SMCs vorgelegt. Die Interessen der SMCs sollen bei der Gesetzgebung mehr Rücksicht gegeben werden. Außerdem sollen sie von bürokratischen Anforderungen befreit werden. Als SMC gilt ein Unternehmen, das
- kein KMU im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG ist,
- weniger als 750 Mitarbeiter beschäftigt und
- entweder einen Jahresumsatz von höchstens 150 Mio. EUR oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 129 Mio. EUR aufweist. Diese Definition soll in künftigen EU-Politiken und -Programmen Anwendung finden und Rechtsklarheit für eine wachsende Unternehmensgruppe schaffen, die oft zwischen den Regulierungsstühlen für KMU und Großunternehmen saß.
Anpassungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): Mehrere Artikel der DSGVO (Verordnung (EU) 2016/679) sollen geändert werden, um KMU und nun auch SMCs entgegenzukommen:
- Artikel 30 Abs. 5 (Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten - VVT): Die Schwelle für die Ausnahme von der Pflicht zur Führung eines VVT wird von 250 auf unter 750 Mitarbeiter angehoben. Die Pflicht entfällt, sofern die Verarbeitungstätigkeiten voraussichtlich kein hohes Risiko für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen gemäß Art. 35 DSGVO darstellen.
- Artikel 40 Abs. 1 (Verhaltenskodizes): Die spezifischen Bedürfnisse von SMCs sollen bei der Erstellung von Verhaltenskodizes explizit berücksichtigt werden.
- Artikel 42 Abs. 1 (Zertifizierung): Analog sollen die Bedürfnisse von SMCs bei Datenschutzzertifizierungsmechanismen stärker beachtet werden.
- Artikel 4 (Definitionen): Es werden Definitionen für KMU und SMCs eingefügt, die auf die jeweiligen Kommissions-Empfehlungen verweisen.
Digitalisierung im Produktrecht und Vereinfachungen: Durch Omnibus-Akte werden diverse produktspezifische Richtlinien und Verordnungen auf einmal angepasst:
- Die EU-Konformitätserklärung muss künftig in elektronischer Form ausgestellt und über eine Internetadresse oder einen maschinenlesbaren Code zugänglich gemacht werden.
- Gebrauchsanweisungen können digital bereitgestellt werden; sicherheitsrelevante Informationen müssen jedoch (insbesondere für Verbraucher) weiterhin in Papierform oder am Produkt verfügbar sein.
- Hersteller müssen einen "digitalen Kontakt" (z.B. E-Mail, Webseite) auf Produkten angeben.
- Die Möglichkeit zur Einführung von "gemeinsamen Spezifikationen" als Alternative zu fehlenden oder unzureichenden harmonisierten Standards wird geschaffen.
Die "EU Startup and Scaleup Strategy": Ausblick auf weitere legislative Maßnahmen
Parallel zu den direkten Gesetzesänderungen skizziert die Kommission – ausweislich eines Leaks in ihrer geplanten "EU Startup and Scaleup Strategy" weitere geplante legislative Vorhaben, die für die Digitalwirtschaft von großer Bedeutung sind:
- "Europäisches 28. Regime": Ein Vorschlag für ein EU-weites Gesellschaftsrechtssystem (Q1 2026) soll die Gründung und grenzüberschreitende Tätigkeit von Unternehmen vereinfachen und Aspekte des Gesellschafts-, Insolvenz-, Arbeits- und Steuerrechts (z.B. Mitarbeiteraktienoptionen) harmonisieren.
- "European Innovation Act" (Q1 2026): Dieses Gesetz soll u.a. regulatorische Sandboxes fördern, indem es eine gemeinsame Rechtsdefinition und Grundprinzipien für deren Einrichtung schafft. Es soll auch den Zugang innovativer Unternehmen zu europäischen Forschungs- und Technologieinfrastrukturen erleichtern.
- Überarbeitung der Standardisierungsverordnung (Q2 2026): Ziel ist ein schnelleres und zugänglicheres Normungsverfahren, insbesondere für KMU und Start-ups.
- Rahmen für IP-Bewertung (Q2 2027): Ein Rahmen zur Bewertung von geistigem Eigentum soll dessen Nutzung als Sicherheit für Finanzierungen erleichtern – ein wichtiger Punkt für wissensintensive Tech-Unternehmen.
- Steuerliche Harmonisierung für Mitarbeiteraktienoptionen und grenzüberschreitende Fernarbeit: Im Rahmen der "Blue Carpet Initiative" (2025-2026) sind Legislativvorschläge zur Harmonisierung der Besteuerung von Mitarbeiteraktienoptionen und Empfehlungen zur Harmonisierung von Steuervorschriften für grenzüberschreitende Fernarbeit bei innovativen Start-ups geplant.
Bedeutung für die IT-, Tech- und Digitalwirtschaft
Die angekündigten Maßnahmen können die Rahmenbedingungen für Digitalunternehmen in der EU erheblich verbessern. Die Anhebung der Schwellenwerte bei der DSGVO-VVT-Pflicht und die Berücksichtigung von SMCs versprechen administrative Entlastung. Die Digitalisierungsinitiativen im Produktrecht sind für technologieorientierte Firmen oft selbstverständlich und reduzieren Kosten. Besonders die in der Startup-Strategie angekündigten Legislativvorhaben wie das "28. Regime", der "Innovation Act" mit Fokus auf Sandboxes und die steuerlichen Initiativen für Mitarbeiterbeteiligungen und Remote Work könnten langjährige Hürden für Wachstum und Talentgewinnung im europäischen Tech-Sektor adressieren. Unternehmen sollten diese Entwicklungen aufmerksam verfolgen und sich auf die Anpassung ihrer Compliance- und Geschäftsstrategien vorbereiten.