Dieser Beitrag ist ein Update zum Beitrag „Pool-Ärzte“ sind nicht zwingend selbstständig tätig“
Co-Autor: Finn Tornow
Ein Urteil des Bundessozialgerichts vom letzten Jahr hatte es in sich: Das Gericht ordnete die Tätigkeit eines sogenannten Pool-Arztes im Rahmen des kassenärztlichen Notdiensts als nicht selbstständige, sondern als abhängig beschäftigte Tätigkeit und somit als sozialversicherungspflichtig ein (Az.: B 12 R 9/21 R). Nach dem Urteil überschlugen sich die Nachrichten aus den Pressestellen der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV’en) – vielerorts herrschte Alarmbereitschaft.
Sollten alle Pool-Ärzte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte sein, könne der kassenärztliche Notdienst nicht mehr aufrechterhalten werden, war die damalige landläufige Einschätzung. In Baden-Württemberg sollten 115 Notfallpraxen geschlossen werden; andere Bundesländer wollten nachziehen. Der Bundesrat schlug eine konkrete Gesetzesänderung vor, der sich die Bundesregierung und der Bundestag allerdings nicht anschlossen. Es wäre somit zu einer drastischen Veränderung der Struktur der Notdienstpraxen gekommen, die sowohl für die betroffenen Beschäftigten als auch für mögliche hilfesuchende Bürger extreme Konsequenzen gehabt hätten. Lange Wartezeiten und überfüllte, unterbesetzte Praxen hätten möglicherweise zum Alltag gehört.
Die neuen Bedingungen der Selbstständigkeit
Die von einigen KV’en prognostizierten dramatischen Folgen bleiben, wie es scheint, nun aber aus. Erstens betraf das Urteil einen sehr konkreten Einzelfall und zweitens haben sich die beteiligten Akteure auf eine Lösung für künftige gleichgelagerte Fälle geeinigt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Deutsche Rentenversicherung Bund, der GKV-Spitzenverband sowie das Gesundheits und das Arbeitsministerium einigten sich auf drei Voraussetzungen, bei deren Vorliegen künftig von einer selbstständigen Tätigkeit von Pool-Ärzten ausgegangen werden darf.
1. Eigene Abrechnung
Die Pool-Ärzte müssen die von ihnen erbrachten ärztlichen Leistungen selbst und unter eigener Abrechnungsnummer erbringen.
Der Selbstständigkeit soll nicht entgegenstehen, wenn die KV‘en den Ärzten eine Sicherstellungspauschale (beispielsweise in weniger dicht besiedelten Gebieten) bezahlen, sofern diese für einen im Voraus bestimmten Zeitraum und unabhängig von der Vergütung des Arztes gilt.
2. Entgeltlichkeit der genutzten KV-Räume und -Geräte
Pool-Ärzte sollen künftig für die Nutzung von KV-Räumen oder seitens der KV zur Verfügung gestellten personellen und sachlichen Betriebsmitteln ein Entgelt entrichten. Die Vergütung muss nicht kostendeckend für die KV, darf in der Höhe aber auch nicht rein symbolisch sein.
3. Vertretungsmöglichkeit
Zuletzt obliegt es künftig der Entscheidung der Pool-Ärzte, sich im Notdienst vertreten zu lassen. Wenngleich die entsprechenden Qualifikationsmaßstäbe von den KV‘en gestellt werden können, habe der (Pool-)Arzt das Letztentscheidungsrecht hinsichtlich der ihn vertretenden Person.
Eine generelle Ausnahme soll es für Vertragsärzte geben, die am kassenärztlichen Notdienst teilnehmen; sie seien grundsätzlich von der Sozialversicherungspflicht ausgenommen, da der Bereitschaftsdienst zu deren vertraglich festgeschriebenen Pflichten gehöre.
Fazit und Ausblick
Es scheint, als haben sich die Beteiligten in ihren Gesprächen von den (sozialgerichtlichen) Maßgaben, wann Selbstständigkeit und wann eine abhängige Beschäftigung vorliegt, leiten lassen. Die Einigung lässt deutlich erkennen, dass das (wirtschaftliche) Risikoprofil deutlich klarer definiert und auf die Pool-Ärzte verlagert wurde. Es dürfte nun klar sein, wann ein im kassenärztlichen Notdienst tätiger Pool-Arzt selbstständig und wann abhängig beschäftigt ist.
Die an den Gesprächen beteiligten Ministerien sicherten eine gesetzliche Klarstellung, zum Beispiel dass ein Sicherstellungszuschlag von den KV‘en überhaupt gezahlt werden darf, zu und dennoch scheint der Schwebezustand vorerst beendet. Die Deutsche Rentenversicherung Bund versicherte nämlich, dass die Maßstäbe bereits für künftige Fälle angewandt werden dürfen.
Zu beachten ist allerdings, dass es sich bisher um ein freundschaftliches Agreement zwischen den Beteiligten handelt; ob die Einigung eine gerichtsfeste Ausnahme von der Sozialversicherungspflicht darstellt, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar –solche Ausnahmen sind jedoch grundsätzlich möglich, jedenfalls wenn sie gesetzlich vorgesehen sind. Außerdem kann die angekündigte Reform des Rettungsdienstes, bei dem nach ersten Kenntnissen auch die Vertragsärzte und die KV‘en eingebunden werden sollen, nicht ohne den kassenärztlichen Notdienst gedacht werden. Schließlich ist unklar, ob es zu den angekündigten gesetzlichen Klarstellungen überhaupt kommen wird; es wären nicht die ersten Gesetzesvorhaben, die in der Koalition stecken blieben. Vorerst scheint sozialversicherungsrechtlicher Burgfrieden eingetreten zu sein – auf dass er lange währen möge.