13. Dezember 2024
Der Rat der Europäischen Union hat am 5. November 2024 grünes Licht für die neue EU Richtlinie über kommunales Abwasser gegeben und sie am 12. Dezember 2024 veröffentlicht (Richtlinie (EU) 2024/3019). Das Ziel der Richtlinie ist der Schutz der Umwelt vor den schädlichen Auswirkungen durch Abwassereinleitungen insbesondere aus Industriebranchen wie der Pharma- und Kosmetikbranche. Die neue Richtlinie1 ersetzt die bestehende EG-Richtlinie 91/271/EWG zur Behandlung von kommunalem Abwasser aus dem Jahr 1991.
Infolge der neuen Regelungen kommen absehbar erhebliche zusätzliche Kosten und auch Organisationsaufwand auf die betroffenen Pharma-Unternehmen zu. Nach einer Pressemitteilung von BAH, BPI, progenerika und vfa2 aus April 2024 belaufen sich die zusätzlichen Kosten in den nächsten 30 Jahren schätzungsweise auf mehr als 36 Milliarden Euro – allein für Pharma-Unternehmen in Deutschland.
Wesentlicher Bestandteil der neuen Richtlinie sind verschärfte Anforderungen an die Abwasserbehandlung in den von Gemeinden betriebenen Kläranlagen – insbesondere verschärfte Grenzwerte mit Blick auf Mikroschadstoffe. Diese verschärften Grenzwerte für Mikroschadstoffe sollen durch zusätzliche Reinigungsvorgänge bei der Abwasserbehandlung (sogenannte 4. Reinigungsstufe3) eingehalten werden. Daran knüpft ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Novellierung: die neue „Erweiterte Herstellerverantwortung“4 . Gemeint ist damit eine (verpflichtende) Kostenbeteiligung von (insbesondere) Arzneimittelherstellern für den Ausbau der 4. Reinigungsstufe. Dabei spielt es keine Rolle, ob Unternehmen ihren Sitz in der EU haben bzw. in der EU produzieren – maßgeblich ist allein, ob Produkte in einem Mitgliedsstaat angeboten werden („placing on the market“).5
Vor dem Hintergrund der neuen Richtlinie haben unsere Expertin für Regulatorische Fragen, Dr. Andrea Sautter, und unser Experte für das Umwelt- sowie speziell das Wasserrecht, Kris Breudel, LL.M. (Aberdeen), einige Fragen mit Blick auf die wesentlich betroffenen Unternehmen der pharmazeutischen Industrie beantwortet:
Die EU Kommission geht davon aus, dass über 90 % der im Abwasser vorgefundenen Mikroschadstoffe durch Pharmazeutika und Kosmetika verursacht werden. Für die Beseitigung dieser Mikroschadstoffe gibt die Kommission den Mitgliedsstaaten insbesondere auf, Kläranlagen so auszubauen, dass sie Abwasser einer 4. Reinigungsstufe unterziehen können. Die Kosten zur Erreichung der 4. Reinigungsstufe sollen größtenteils von den Herstellern von Arzneimitteln und Kosmetika getragen werden. Die Höhe der Kostenbeteiligung bestimmt sich mit Blick auf die einzelnen Unternehmen an der Menge und der Toxizität der in den Verkehr gebrachten Produkte.
Grundsätzlich sollen alle Hersteller von Humanarzneimitteln oder Kosmetika zur Kostenbeteiligung verpflichtet werden.6 Zu diesem Zweck ist der Anwendungsbereich der Richtlinie besonders weit ausgestaltet:
Als „Hersteller“ gilt zunächst jeder Erzeuger, Einführer oder Händler, der gewerbsmäßig Produkte in einem Mitgliedstaat in Verkehr bringt. „In Verkehr bringen“ meint die erstmalige Bereitstellung auf dem Unionsmarkt7. Was unter der „erstmaligen Bereitstellung“ zu verstehen ist, definiert die Richtlinie selbst nicht. Ein Blick in andere EU-Regelwerke8 zeigt, dass unter der „Bereitstellung“ häufig eine (un)entgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, zum Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit verstanden wird.
Somit dürften in der Praxis Großhändler, die das Arzneimittel vom Zulassungsinhaber innerhalb der Europäischen Union beziehen, nicht als im Abwasserrecht verantwortlicher „Inverkehrbringer“ gelten, sondern nur der Zulassungsinhaber, welcher das Arzneimittel auf dem Unionsmarkt erstmalig abgibt (an einen Händler).
Die Definition von Humanarzneimitteln entspricht der Definition aus dem Humanarzneimittelkodex, soweit sie entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt.9
Ausgenommen sind lediglich Hersteller, bei denen die Menge der „Substanzen“ in den von ihnen in Verkehr gebrachten Produkten weniger als eine Tonne pro Jahr ausmachen oder Hersteller, die nachweisen können, dass die von Ihnen in den Verkehr gebrachten Produkte am Ende ihrer Lebensdauer keine Mikroschadstoffe im Abwasser hinterlassen.10
Mit der Erweiterten Herstellerverantwortung sollen die betroffenen Hersteller 80 % der „Gesamtkosten“ für Ausbau und Betrieb der Kläranlagen, für vorgesehene Abwasser-Überwachungsmaßnahmen und Kosten für die Erhebung und Überprüfung von Daten über in Verkehr gebrachte Arzneimittel tragen.11 Außerdem werden auch „sonstige Kosten“, die im Rahmen der Wahrnehmung der Erweiterten Herstellerverantwortung anfallen, erfasst. Welche Kosten unter „sonstigen Kosten“ zu verstehen sind, lässt die Richtlinie offen.12
Die Richtlinie sieht vor, dass Hersteller sich in einem ersten Schritt einer „Organisation für Herstellerverantwortung“ anschließen, die eigens mit Blick auf die Erweiterte Herstellerverantwortung gegründet wird.13 Die Hersteller werden verpflichtet, diese Organisation einmal jährlich darüber zu informieren,
Dabei sieht die Richtlinie auch Veröffentlichungen von Informationen durch die Organisation vor: Sie soll insbesondere öffentlich machen, welche Hersteller sich der Organisation angeschlossen haben und welche finanziellen Beiträge die betroffenen Hersteller an die Organisation leisten.14
Jede Organisation für Herstellerverantwortung muss einen klar definierten geografischen Zuständigkeitsbereich haben und über die erforderlichen finanziellen und organisatorischen Mittel verfügen, um den Verpflichtungen der Hersteller im Rahmen der Erweiterten Herstellerverantwortung nachzukommen15. Auch hierfür trifft die Unternehmen aus der Pharmabranche eine Kostenbeteiligungspflicht.16 In einem Mitgliedsstaat kann es auch mehrere Organisationen für Herstellerverantwortung geben.
Ein betroffener Hersteller muss in jedem EU-Mitgliedsstaat, in dem er Produkte auf den Markt bringt, die Erweiterte Herstellerverantwortung erfüllen. Je nach geographischer Reichweite einer Organisation für Herstellerverantwortung, muss ein Hersteller ggf. in mehreren solchen Organisationen Mitglied werden. Der Grenzwert von einer Tonne von in den in Verkehr gebrachten Produkten enthaltenen „Substanzen“ bezieht sich auf den gesamten Unionsmarkt.
Da es sich um die Novellierung einer Richtlinie handelt, sind die darin enthaltenen neuen Regelungen für Pharma-Unternehmen auch nach Inkrafttreten der Richtlinie auf europäischer Ebene nicht unmittelbar rechtsverbindlich. Damit die neuen Regelungen wie etwa die Erweiterte Herstellerverantwortung rechtsverbindlich werden, muss zunächst der nationale Gesetzgeber tätig werden.17 Die Richtlinie tritt 20 Tage nach Ihrer Veröffentlichung am 12. Dezember 2024 am 1. Januar 2025 in Kraft und dem deutschen Gesetzgeber bleiben nach dem Inkrafttreten der Richtlinie grundsätzlich 30 Monate bzw. zweieinhalb Jahre Zeit für die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht.18 Die Erweiterte Herstellerverantwortung soll drei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie wirksam werden.19
Der übrige Zeitplan der Kommission ist allerdings ambitioniert und könnte (weiteren) Handlungsdruck auf den deutschen Gesetzgeber ausüben:
Die novellierte Richtlinie sieht vor, dass 50 % der Kläranlagen in Gemeinden mit mindestens 100.000 Einwohnern bis zum 31. Dezember 2030 bis zur 4. Reinigungsstufe ausgebaut werden.20
Bis zum 31. Dezember 2035 sollen außerdem
Die Richtlinie ist allein für die Mitgliedsstaaten verbindlich – nicht hingegen für Unternehmen, die entweder ihren Sitz innerhalb eines Mitgliedsstaates wie etwa in Deutschland, siehe Hinweise oben in Ziffer V, haben oder betroffene Produkte auf dem Unionsmarkt anbieten. Unternehmen können also nicht gegen die Richtlinie selbst vorgehen. Sobald der deutsche Gesetzgeber tätig wird, können betroffene Unternehmen zunächst auf politischer Ebene am Gesetzgebungsverfahren teilhaben, oder sich nach Inkrafttreten der betreffenden deutschen Gesetze im Wege einer Verfassungsbeschwerde gegen die Gesetze oder gegen einzelne Umsetzungsmaßnahmen (z.B. Kostenbescheide i.R.d. Erweiterten Herstellerverantwortung) gerichtlich wehren.
Die geplante Sonderabgabe für Arzneimittelhersteller zur Finanzierung einer vierten Reinigungsstufe in Kläranlagen wird bereits als verfassungswidrig angezweifelt.22 Sollte die geplante Sonderabgabe sich als nicht mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar herausstellen, ist unklar, wie es für die betroffenen Unternehmen ausgehen würde, da das Verhältnis von Europarecht und Grundgesetz bis heute als ungeklärt bezeichnet werden kann. Das EU-Unionsrecht genießt zwar grundsätzlich Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht (auch vor dem nationalen Verfassungsrecht), steht aber nicht „über“ dem Grundgesetz. Zwischen der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft besteht kein Über- oder Unterordnungsverhältnis. Die grundsätzliche Vereinbarkeit des Unionsrechts mit dem Grundgesetz ist in Art. 23 GG (sogenannter „Europa-Artikel“) niedergelegt.
Sie haben Fragen zur Erweiterten Herstellerverantwortung bzw. wasserrechtlichen Compliance und/oder den umweltrechtlichen sowie weiteren Herausforderungen für Ihr Unternehmen? Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.
1 Urban wastewater: Council adopts new rules for more efficient treatment - Consilium (in englischer Sprache, in deutscher Sprache abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202403019).
2 Pressemitteilung vom 5. November 2024, abrufbar unter: https://www.pharmadeutschland.de/newsroom/news/artikel/kosten-fuer-abwasserreinigung-muessen-gerechter-verteilt-werden/ (zuletzt abgerufen am 23. November 2024).
3 Vgl. Art. 2 Abs. 14 und 8 der Richtlinie.
4 Art. 9 i.V.m. Anhang III der Richtlinie.
5 Art. 2 Abs. 19 und Abs. 26 der Richtlinie.
6 Art. 9 Nr. 1 i.V.m. Anhang III der Richtlinie.
7 Art. 2 Abs. 26 der Richtlinie.
8 Vgl. für Medizinprodukte: „Bereitstellung auf dem Markt“ bezeichnet jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts, mit Ausnahme von Prüfprodukten, zum Vertrieb, zum Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit (Art. 2 Abs. 27 EU Medizinprodukteverordnung 2017/745); vgl. für sonstige Produkte in der Produktsicherheitsverordnung (EU) 2023/98, Art. 3 Nr. 6 „Bereitstellung auf dem Markt“ jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, zum Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit.
9 Definition nach Art. 1 Nr. 2b), Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG.
10 Art. 9 Nr. 2 (a) der Richtlinie.
11 Art. 9 Nr. 1 (c) der Richtlinie.
12 Art 9 Nr. 1 S. 2 Ziffer c) der Richtlinie.
13 Art. 9 Nr. 3 der Richtlinie.
14 Art. 10 Nr. 1 (c) der Richtlinie.
15 Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie.
16 Art. 9 Nr. 3 (b) der Richtlinie.
17 Art. 288 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
18 Art. 33 Nr. 1 der Richtlinie.
19 Art. 9 Nr. 1 der Richtlinie.
20 Art. 8 Nr. 1 der Richtlinie.
21 Art. 8 Nr. 4 der Richtlinie.
22 https://www.pharmadeutschland.de/newsroom/news/artikel/kommunalabwasserrichtlinie-einseitige-belastung-der-arzneimittel-hersteller-waere-verfassungswidrig/ (zuletzt abgerufen am 23. November 2023).