Der BGH hat in seinem Urteil vom heutigen Tag (Urt. V ZR 77/22) entschieden:
Verkäufer von Immobilien müssen Käufer über einen drohenden Kostenumfang für anstehende
Sanierungsmaßnahmen ungefragt aufklären – und zwar unabhängig von der möglichen Einsichtnahme
des Käufers von in einem (virtuellen) Datenraum eingestellten Unterlagen. Dies gilt auch dann, wenn der
Kaufvertrag den ausdrücklichen Hinweis enthält, dass dem Käufer die relevanten Unterlagen inhaltlich
bekannt sind. Die bloße Einstellung von Unterlagen in einen virtuellen Datenraum – ohne einen konkreten
Hinweis – genügt lediglich in Ausnahmefällen.
Sachverhalt (vereinfachte Kurzdarstellung)
Der Kläger und der Beklagte haben zum Kaufpreis von ca. EUR 1,5 Mio. einen Grundstückskaufvertrag über
mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen Gebäudekomplex unter Ausschluss der Sachmängelhaftung
geschlossen.
Hinweise für eine mögliche Sanierung und einer damit einhergehenden konkreten Gefahr einer anteiligen
Kostenbelastung (hier: Sonderumlage) durch den jeweiligen Eigentümer der Immobilie von bis zu EUR
50.000.000,00 für Erhaltungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum ergaben sich aus dem Exposé des
Verkäufers und einem Protokoll der Eigentümerversammlung, das kurz vor dem Beurkundungstermin des
Kaufvertrages in den Datenraum eingestellt wurde. Der Kaufvertrag enthielt den ausdrücklichen Hinweis, dass
dem Käufer der Inhalt der im Datenraum eingestellten Protokolle bekannt sei. Nachdem der Käufer für die
anteilige Kostentragung für Sanierungsmaßnahmen in Anspruch genommen wurde, erklärte er die Anfechtung
des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung.
Entscheidung
Rechtlich geht es in dem Urteil nicht um die Frage, ob ein Sach- oder Rechtsmangel des Kaufgegenstandes
vorliegt, sondern um die Haftung des Verkäufers wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht.
Nach dem BGH muss der Verkäufer - auch ungefragt - darüber aufklären, dass Maßnahmen mit einem Kostenumfang
von bis EUR 50.000.000 drohen.
Die Einstellung des entsprechenden Protokolls in den virtuellen Datenraum sei dafür – nach dem BGH – explizit
nicht ausreichend. Die Möglichkeit des Käufers, sich Kenntnis über einen relevanten Umstand zu verschaffen,
schließt die Pflicht des Verkäufers zur Offenlegung per se nicht aus. Der Verkäufer erfüllt daher seine Aufklärungspflicht
nur dann, wenn und soweit er die berechtigte Erwartung haben kann, dass der Käufer durch
Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird. Dies
hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab (z.B. ob und in welchem Umfang eine Due Diligence
des Käufers erfolgt, Struktur des Datenraums, Auffindbarkeit der Unterlagen im Datenraum etc.).
Fazit
Verkäufer von Immobilien können sich nunmehr nicht mehr unter Verweis auf die Due Diligence des Käufers
aus der Verantwortung ziehen. Für Verkäufer, die nur schwer bewerten können, ob diese Voraussetzung im
konkreten Einzelfall vorliegt, hat das Urteil des BGH zur Folge, dass sie im Rahmen von Verkaufsprozessen
umfangreicher (d.h. auch prophylaktisch) über Umstände aufklären müssen, wenn sie eine Aufklärungspflichtverletzung
und eine damit einhergehende Anfechtung des Kaufvertrages durch den Käufer vermeiden wollen.
Wollen Verkäufer auf der sicheren Seite sein, werden sie an einer eigenen Due Diligence ihrer Immobilie vor dem Verkauf nicht herumkommen.