Autor

Timo Stellpflug

Partner

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3. Juli 2023

Urban Air Mobility: Mobilitätskonzepte der (nahen) Zukunft

  • In-depth analysis

Der Begriff Urban Air Mobility (UAM) steht für eine neue Mobilität, bzw. für neue Mobilitätskonzepte und die umfassende Ausweitung urbaner Mobilität in die Luft mit dem Ziel, ein sicheres, umweltfreundliches und effizientes Verkehrssystem zu schaffen und überlastete Infrastrukturen, insbesondere in schnell wachsenden urbanen Gegenden, zu entlasten. Automatisierte Flugobjekte sollen in niedrigen Höhen Passagiere (Urban Air Mobility) oder Fracht (Urban Air Logistics) befördern. Was vor einigen Jahren noch weit entfernt erschien, wird heute allgemein als Urban Air Mobility bezeichnet: Die Verlagerung der Mobilität in die sog. „dritte Dimension“ bzw. die Erschließung des Luftraums im städtischen Bereich.

Dabei wird, je nach Einsatzbereich, zwischen verschiedenen Fluggeräten bzw. Luftfahrzeugen unterschieden. Im Bereich Urban Air Logistics eingesetzte unbemannte Luftfahrzeuge werden gemeinhin als Cargodrohnen oder Unmanned Aircraft Systems (UAS) bezeichnet. Im Bereich der Personenbeförderung spricht man von VTOL (electric vertical take-off and landing) bzw. Air Taxi oder (gemeinhin umgangssprachlich mittlerweile) Lufttaxi. Für eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung und Implementierung des gesamten Urban Air Mobility-Marktes ist ein verlässlicher rechtlicher Rahmen von entscheidender Bedeutung. Dieser muss Standards für technologische Zertifizierungen und Zulassungen, für die Sicherheit der benötigten Infrastruktur und Maßnahmen zur Regulierung des Urban-(Unmanned)-Air-Mobility-Marktes gleichermaßen umfassen.

Der Urban-Air-Mobility-Markt

Die Relevanz von Urban Air Mobility zeigt sich an statistischen Daten und der Marktentwicklung ebenso wie an simplen Beispielen - wirtschaftlich gilt die Urban Air Mobility (zu Recht) als Zukunftsmarkt mit großem Marktpotential. Bis 2030 werden circa fünf Milliarden Menschen in Städten und urbanen Regionen leben. Dies entspricht rund 60 Prozent der gesamten Weltbevölkerung und geht mit immensen Herausforderungen für die Infrastruktur in urbanen Gebieten einher.
Das Beratungsunternehmen Roland Berger geht davon aus, dass die Anzahl der als Lufttaxis, Flughafen-Shuttles und der im Rahmen innerstädtischer Flugdienste eingesetzten Drohnen (d.h. hinsichtlich des Urbain Air Mobility Marktes im engeren Sinne) in den nächsten Jahren exponentiell wachsen wird - bis 2050 auf weltweit annähernd 160.000 autonome Elektro-Drohnen mit einem daran gekoppelten jährlichen Umsatz von fast 90 Milliarden USD. Von Seiten der Investoren wird das Marktpotential ebenfalls hoch eingeschätzt. Roland Berger geht in der Ende 2020 veröffentlichten Studie davon aus, dass rd. 907 Millionen USD im ersten Halbjahr 2020 in die Branche investiert wurden. Damit hätte sich die Investitionssumme im Vergleich zu 2016 in vier Jahren mehr als verzwanzigfacht. Das Prüfungs- und Beratungsunternehmen Deloitte beziehen auch Fracht- und kommerzielle Intercity-Dienste (Advanced Air Mobility; AAM) mit in seine Marktprognose ein und geht davon aus, dass der US-Markt für AAM bis 2035 ein Volumen von 115 Milliarden USD erreichen könnte.

Marktteilnehmer und erforderliche Infrastruktur

Neben global agierenden Unternehmen aus dem Bereich der traditionellen Luftfahrt wie bspw. Airbus und Boeing arbeiten eine Vielzahl von (durchaus auch marturen) Start-ups weltweit an der Umsetzung von UAM-Konzepten. Zu letzteren gehören unter anderem Volocopter , Lilium , EHang oder Joby Aviation.

Dass Unternehmen aus dem Bereich Urban Air Mobility zunehmend im Fokus des öffentlichen Interesses und von Investoren stehen, zeigt sich bspw. auch daran, dass die AHK Frankreich Volocopter im Februar 2023 für sein innovatives Urban Air Mobility Konzept ausgezeichnet hat. Elektrische Flugtaxis sollen zu den olympischen Spielen in Paris 2024 zum testweisen Einsatz kommen.

Urban Air Mobility kann nur dann erfolgreich sein und ihr volles Potential ausschöpfen, wenn die neuen Konzepte in die städtische Mobilität integriert werden. Dies geht nur mit einer entsprechenden Infrastruktur und mit entsprechenden Schnittstellen. Die Luftraumstruktur muss an die neuen Entwicklungen angepasst werden. Insbesondere muss eine geeignete Boden-Infrastruktur konzipiert und Start- und Landezonen geschaffen werden, deren Anzahl eine wirtschaftlich gewinnbringende Umsetzung der neuen Mobilitätskonzepte ermöglicht. Auch für den Einsatz von Flugtaxis bei den Olympischen Spielen sind strategische Partner von entscheidender Bedeutung, die die notwendige Infrastruktur, hier Vertiports, zur Verfügung stellen. Hieran zeigt sich bereits, dass der Sektor Urban Air Mobility nicht nur Unternehmen umfasst, die AUS und VTOL entwickeln. Die Branche umfasst

  • Drohnenbetreiber, die Drohnen zur Erbringung von Dienstleistungen oder zur Beförderung von Waren oder Personen einsetzen;
  • Hersteller der Drohnen-Hardware und Hersteller anderer Nutzlasten für den Einbau in Drohnen, z. B. für Film-, Inspektions-, Fracht-, Überwachungs- oder Messzwecke;
  • Technologieanbieter für die Plattform, die Ausrüstung und Softwaresysteme für Kommunikation, Flugsteuerung, Lageerfassung oder zur Ermöglichung eines autonomen Betriebs entwickeln;
  • Händler, die fertige Drohnen an Drittunternehmen verkaufen oder vermieten;
  • Bodeninfrastrukturbetreiber wie Vertiports und Flughäfen, Anbieter von Flugverkehrsmanagement (z. B. Anbieter von Flugsicherungsdiensten, U-Space-Diensten oder gemeinsamen Informationsdiensten) und
  • Anbieter von Telekommunikationsinfrastruktur sowie Anbieter von Navigations- und Überwachungsinfrastruktur.

Rechtsrahmen & kontinuierliches Monitoring der rechtlichen Entwicklung als Wettbewerbsvorteil

Im Anschluss an die Luftfahrtstrategie der Kommission aus dem Jahr 2015 hat die EU einen umfassenden Rechtsrahmen für Drohnen ausgearbeitet. Seit 2018 unterliegen alle Drohnen unabhängig von ihrem Gewicht harmonisierten Sicherheitsvorschriften für den Drohnenbetrieb. Um einen sicheren Flugbetrieb mit Drohnen im Luftraum zu gewährleisten, erließ die Kommission im Hinblick auf das Flugverkehrsmanagementsystem für Drohnen zudem mehrere Verordnungen. Zu nennen sind hier die Durchführungsverordnung (EU) 2019/947 der Kommission und die Delegierte Verordnung (EU) 2019/945 der Kommission, die detaillierte Vorschriften und Verfahren für den Betrieb unbemannter Luftfahrzeuge enthalten und Anforderungen an die Konstruktion und Herstellung unbemannter Luftfahrzeugsysteme festlegen.
Die Europäische Union veröffentlichte im November 2022 eine neue Drohnenstrategie (Drone Strategy 2.0) und legte damit einen Plan für einen europäischen Drohnenmarkt vor. Bis 2030 sollen Arzneimittellieferungen, Notfalldienste und Dienste der innovativen Luftmobilität (Flugtaxis) mit (autonomen) Drohnen in Europa zum Alltag gehören. Die Strategie enthält 19 operative, technische und finanzielle Leitinitiativen. So soll ein geeignetes rechtliches und kommerzielles Umfeld für den Luftraum und den Markt für Drohnen geschaffen und der Weg für einen gewerblichen Flugbetrieb in großem Umfang geebnet werden.

Eine zunehmende Entlastung des urbanen Straßenverkehrs geht unvermeidlich mit einer erhöhten Belastung des urbanen Luftraums einher. Zudem existieren diverse regulatorische und infrastrukturelle Hindernisse. Zertifizierungen und klare Regelungen für den Verkehr im Luftraum über Städten müssen gewährleisten, dass Sicherheit gegeben ist und keine Überschneidungen mit dem kommerziellen Flugverkehr (Flugzeuge) entstehen. Trotz des technologischen Fortschrittes ist das Mobilfunknetz nicht effizient genug, um eine lückenlose Funkverbindung zu gewährleisten, welche für ein flächendeckendes Infrastrukturnetz aus unbemannten, autonomen Drohnen unabdingbar wäre. Infrastrukturelle Hürden bestehen durch fehlende Ladestationen, Landebahnen, Flugverbotszonen, Flugverbotszeiten und Wartungseinrichtungen. Zudem müssen sogenannte Fehler Mode Management-Programme zur Fehler- und Unfallvermeidung zusammen mit IT-Lösungen weiterentwickelt werden, um dem Hacken von Drohnen und allgemein Unfällen konsequent vorzubeugen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Vielzahl verschiedenster Interessen und Risiken bei der Entwicklung dieses Marktes stellt sich die Frage nach der Gestaltung eines umfassenden Rechtsrahmens für die Urban Air Mobility. Ähnlich wie im Zusammenhang mit der Schaffung eines nationalen Weltraumgesetzes, das durch verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen eine der Grundvoraussetzungen für den wirtschaftlichen Erfolg einer Branche schaffen und klare Standort- und Wettbewerbsvorteile generieren kann, ist auch im Bereich Urban Air Mobility entscheidend, wer bei der Schaffung eines rechtlichen Rahmens als erstes handelt und ggf. kritische Wettbewerbsvorteile im Wettbewerb um Anteile auf dem Weltmarkt sichern kann.
Dieser rechtliche Rahmen muss Standards für technologische Zertifizierungen und Zulassungen, für die Sicherheit der benötigten Infrastruktur und Maßnahmen zur Regulierung des UAM-Marktes gleichermaßen umfassen.

Regelungen für die Zulassung und im Besonderen die Festlegung der Anforderungen und Vorschriften der Musterzulassung werden bspw. die European Union Aviation Safety Agency (EASA) und die amerikanische Federal Aviation Administration (FAA) geschaffen. Im Juni 2022 hat die EASA einen Entwurf für Regeln für den Betrieb von Lufttaxis in Städten veröffentlicht – als erste Agentur weltweit. Der Entwurf umfasst die Bereiche Lufttüchtigkeit, Flugbetrieb, Lizenzierung der Flugbesatzung und Luftverkehrsregeln. Die Vorschläge schaffen Klarheit mit Blick auf den grundsätzlichen Zertifizierungspfad, der für Entwickler in Europa für VTOLs zukünftig gelten kann. Dass es sich hierbei um einen First Mover Advantage mit realen Effekten handelt, zeigt sich daran, dass Großbritannien die von der EASA vorgeschlagenen Regelungen adaptiert und so den eigenen Unternehmen und den Unternehmen auf dem Kontinent bereits Vorteile in der Expansionsphase verschafft hat. Die Europäische Kommission wird 2023 den EASA-Rechtsrahmen überprüfen und hierzu eine abschließende Entscheidung treffen. Anders hingegen ist die Situation bei autonomen, d.h. pilotenlosen Personal Air Vehicles (PAV). Hier steht die Entwicklung von Zulassungsvorschriften noch aus.
Hinsichtlich der Vereinheitlichung der Anforderungen an die Infrastruktur (betrifft gleichermaßen Vertiports wie auch den Aspekt der Flugsicherung) hatte Mitte 2021 die Kommission das „U-Space“-Paket verabschiedet. U-Space“ („U“ steht für unbemannte Dienste) ist ein europäisches, für das Management des Drohnenverkehrs entwickeltes System. Das Paket beinhaltet drei Verordnungen, die zusammen die Voraussetzungen dafür schaffen sollen, dass sowohl Drohnen als auch bemannte Luftfahrzeuge sicher in dem als U-Space bezeichneten Teil des Luftraums operieren können. Die neuen Vorschriften sollen vor allem die Durchführung komplexerer und längerer Einsätze erleichtern, insbesondere in niedrigen und dicht bevölkerten Lufträumen sowie außerhalb der Sichtweite des Fernlenkers. Die EU-Regelungen sind am 26. Januar 2023 in Kraft getreten. Mitgliedstaaten können nun einen festgelegten Luftraum als U-Space ausweisen. In diesem müssen bestimmte obligatorische Services erbracht werden. Übergeordnetes Ziel ist die Schaffung eines wettbewerbsfähigen Marktes mit fairem Zugang für AUS-Betreiber.
Die EASA hat im März 2022 Spezifikationen für die Konstruktion von Vertiports veröffentlicht. In einem nächsten Schritt soll die Entwicklung eines vollständigen Rechtsrahmens für die Konstruktion und Zertifizierung von Vertiports sowie für den Betrieb und die Aufsicht über Betreiber erfolgen. Die FAA hat hier nachgezogen und sogenannte Vertiport Design Standards im September 2022 veröffentlicht.
Hinsichtlich der Regulierung des UAM-Marktes selbst bleibt abzuwarten, wie dieser Markt sich entwickelt. Die ökonomische Theorie benennt vor allem externe Effekte, Informationsasymmetrien und die Existenz von natürlichen Monopolen als Gründe für eine Marktregulierung. Die Marktentwicklungen werden zeigen, ob und in welchem Ausmaß eine Regulierung wie in anderen Verkehrssektoren erforderlich sein wird.

Rahmenbedingungen in Deutschland

Mit dem Ziel verlässliche regulatorische Rahmenbedingungen zu schaffen, verabschiedete das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur im Juni 2021 ein Memorandum of Understanding mit den Urban Air Mobility Modellstädten Aachen, Hamburg, Ingolstadt und Nordhessen, um innovative Drohnentechnologie umzusetzen und weiterzuentwickeln. Das Innovationsnetzwerk soll infrastrukturelle und regulatorische Lösungsansätze durch Best-Practice-Beispiele liefern und die Akzeptanz der Bevölkerung testen. Die UAM-Initiative der EU, förderte zur Unterstützung der Forschung und Erprobung im Zusammenhang mit Urban Air Mobility Ideen und Projektskizzen mit 29 Millionen Euro (2019). Seit 2021 führt das BMVI diese Förderrichtlinie fort und stellt bis 2023 rund 11 Millionen Euro für die Initiative „Innovative Luftmobilität“ zur Verfügung. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr hat außerdem eine digitale Plattform für Unbemannte Luftfahrt etabliert. Die Digitale Plattform Unbemannte Luftfahrt (dipul) vermittelt alle sicherheitsrelevanten und rechtlichen Informationen rund um den Einsatz von Drohnen in Deutschland.
In welcher Form die Urban Air Mobility bspw. gezielt Berücksichtigung in der für Herbst angekündigten Weltraumstrategie spielt bzw. spielen kann, bleibt abzuwarten.

Ausblick

Europa hat rechtlich, technisch und infrastrukturell valide Chancen im Bereich Urbain Air Mobility zu reüssieren, sieht sich indes insbesondere in Asien und dem mittleren Osten einem insbesondere regulatorisch nicht unerheblichen Vorsprung ausgesetzt, den es zu schlie0en gilt, um gerade die technische und ökonomische Entwicklung nicht zu bremsen. Das dynamische und komplexe Themengebiet verlangt nach stetigen Entwicklungen, Innovationen und Investitionen mit klaren rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen. Vor allem Marktakteure sind gefordert, die rechtlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen zu monitoren und kontinuierlich Geschäftschancen bei sich ändernden Vorgaben neu zu evaluieren. Die Politik ist gefordert, die Anforderungen der Branche an verlässliche rechtliche und regulatorische Rahmenbedingungen konsequent umzusetzen, um somit einen auch langfristig wettbewerbsfähigen Standort Europa für alle Unternehmen der Urban Air Mobility zu schaffen.

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