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31. Mai 2023

Artikel-Serie – 3 von 5 Insights

Das neue Pharma-Paket der EU-Kommission: Geänderter Rechtsrahmen für Unterlagenschutz, Vermarktungsschutz und Marktexklusivität

  • In-depth analysis

Das europäische Arzneimittelrecht soll grundlegend geändert werden. Die Änderungen betreffen den Schutz von Innovationen in der Arzneimittelentwicklung und sollen einen Ausgleich zwischen der Förderung von Innovationen und der Gewährleistung des Zugangs zu erschwinglichen Arzneimitteln schaffen. Doch was genau ändert sich? Und was sind die Auswirkungen auf Patienten und Hersteller?

Das von der EU-Kommission am 26. April 2023 vorgelegte Pharma-Paket enthält weitreichende Änderungen der Regelungen über den Unterlagenschutz und die Marktexklusivität.
Diese finden über den Vorschlag der Neufassung der Richtlinie 2001/83/EG (im Folgenden: RL-E 2023/0132 (COD)) und den Vorschlag einer neuen Verordnung zur Festlegung von Unionsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung der Europäischen Arzneimittel-Agentur, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 und der Verordnung (EU) Nr. 536/2014 sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 726/2004, der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 und der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 (im Folgenden: VO-E 2023/0131 (COD)) Eingang in die Reform. 

Allgemeine Regelungen

Der Unterlagenschutz und die Marktexklusivität richten sich nach bisheriger Rechtslage nach dem § 24b Abs. 1 des deutschen Arzneimittelgesetzes (AMG). Dieser setzte den bisherigen Art. 10 der Richtlinie 2001/83/EG um. Danach beträgt der Unterlagenschutz für alle Arzneimittel acht (8) Jahre ab dem Tag der Zulassung. Darauf folgen weitere zwei (2) Jahre Vermarktungsschutz, in denen Hersteller von Generika und Biosimilars zwar unter Berufung auf die Unterlagen des Originalherstellers Zulassungen für ihre Produkte beantragen und auch erhalten können, jedoch mit der Pflicht, mit der Vermarktung bis zum Ablauf dieser Zeit zu warten, vgl. § 24b Abs. 1 S. 2 AMG.

Mit der neuen Richtlinie soll dies grundlegend geändert werden. Im Rahmen der vorgeschlagenen Reform wird für innovative Arzneimittel ein Standardzeitraum für den behördlichen Schutz gelten, der etwas kürzer ist als heute, aber verlängert werden kann, wenn das Produkt bestimmte Ziele im Bereich der öffentlichen Gesundheit erreicht. Der Unterlagenschutz wird standardmäßig von acht (8) auf sechs (6) Jahre reduziert, vgl. Art. 81 RL-E 2023/0132 (COD). Diesem Unterlagenschutz folgen unverändert zwei (2) Jahre Vermarktungsschutz

Nach der bisherigen Rechtslage kann der Vermarktungsschutz noch um ein (1) weiteres Jahr verlängert werden, wenn ein neues Anwendungsgebiet für den Wirkstoff in den ersten acht Jahren zugelassen wird und hierfür im Zulassungsverfahren ein klinischer Zusatznutzen im Vergleich zu bestehenden Therapien bestätigt wird, vgl. § 24b Abs. 1 S. 3 AMG. Das wird als „8+2+1-Regel“ bezeichnet.

Auch dies wird durch die neue Richtlinie geändert. Unternehmen wird dabei die Möglichkeit eröffnet, durch das Erreichen bestimmter Ziele im Bereich der öffentlichen Gesundheit eine Schutzfrist von bis zu zwölf (12) Jahren (gegenüber bisher möglichen maximal 11 Jahren) zu erreichen.
Die Kommission hat in Art. 81 Abs. 2 RL-E 2023/0132 (COD) folgende Ziele abgesteckt:

  • Zwei (2) Jahre Verlängerung, wenn ein Unternehmen das Arzneimittel innerhalb von zwei Jahren in allen Mitgliedstaaten auf den Markt bringt, bzw. innerhalb von drei Jahren für Unternehmen mit begrenzter Erfahrung im EU-System;
  • Sechs (6) Monate Verlängerung, wenn das Arzneimittel eine medizinische Versorgungslücke schließt;
  • Sechs (6) Monate Verlängerung, wenn vergleichende klinische Prüfungen durchgeführt werden; 
  • Ein (1) Jahr Verlängerung, wenn für das Arzneimittel innerhalb der Schutzfrist ein neues Anwendungsgebiet zugelassen wird, sofern damit ein bedeutender Nutzen im Vergleich zu bestehenden Therapien erzielt werden kann.

Neu eingeführt wird durch Art. 84 RL-E 2023/0132 (COD) eine Schutzfrist von vier (4) Jahren bei Arzneimitteln, für die eine neue therapeutische Anwendung ermittelt wurde (Repurposing). Voraussetzung ist, dass das betreffende Arzneimittel bereits seit mindestens 25 Jahren zugelassen ist oder zuvor kein Unterlagenschutz für das Arzneimittel bestand.

Arzneimittel für seltene Krankheiten

Bisher wurden Arzneimittel für seltene Krankheiten/Leiden durch die Verordnung (EG) Nr. 141/2000 reguliert. Danach genossen diese Arzneimittel eine Marktexklusivität von zehn (10) Jahren, vgl. Art. 8 Verordnung (EG) Nr. 141/2000. 

Dieser Zeitraum kann jedoch derzeit auf sechs (6) Jahre verkürzt werden, wenn am Ende des fünften Jahres in Bezug auf das betreffende Arzneimittel feststeht, dass die Rentabilität so ausreichend ist, dass die Aufrechterhaltung des Marktexklusivitätsrechts nicht gerechtfertigt ist.

Besonderheiten gibt derzeit es zudem, soweit es sich um ein Kinderarzneimittel für seltene Leiden handelt. Sofern ein Genehmigungsantrag nach Art. 7 oder 8 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 über Kinderarzneimittel die Ergebnisse sämtlicher Studien beinhaltet, die gemäß einem gebilligten Paediatric Investigation Plan (PIP) durchgeführt wurden, wird bei Arzneimitteln, die als Arzneimittel für seltene Leiden ausgewiesen sind, die zehnjährige Exklusivitätsfrist nach Art. 8 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 141/2000 um zwei (2) Jahre auf zwölf (12) Jahre verlängert (Art. 37 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1901/2006).

Das ändert sich nun mit dem neuen Verordnungsentwurf. Dieser hebt sowohl die Verordnung  (EG) Nr. 141/2000 über seltene Leiden, als auch die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 über Kinderarzneimittel auf und fasst die Regelungen neu. 

Bei Arzneimitteln für seltene Krankheiten beträgt die Dauer der Marktexklusivität nun grundsätzlich noch neun (9) Jahre. Art. 71 VO-E 2023/0131 (COD) regelt in Absatz 2 lit. b) und c) zudem Sonderfristen:

  • von zehn (10) Jahren für Arzneimittel für seltene Leiden, für die ein hoher ungedeckter medizinischer Bedarf im Sinne von Artikel 70 besteht;
  • von fünf (5) Jahren für Arzneimittel für seltene Leiden, die im Wege einer auf bibliografischen Daten basierenden Zulassung genehmigt wurden.

Eine weitere Änderung ist, dass die Möglichkeit, die Kriterien für das Marktexklusivitätsrecht nach sechs (6) Jahren nach der Zulassung zu überprüfen, abgeschafft wurde, um eine bessere Vorhersehbarkeit für die Entwickler zu gewährleisten.

Unternehmen können weiterhin zusätzliche Marktexklusivitätsfristen (vgl. Art 72 VO-E 2023/0131 (COD)) in Anspruch nehmen:

  • Ein (1) Jahr Verlängerung, wenn das Unternehmen das das Arzneimittel in allen Mitgliedstaaten auf den Markt bringt;
  • Bis zu zwei (2) zusätzliche Jahre, wenn das Unternehmen neue therapeutische Indikationen für ein bereits zugelassenes Arzneimittel für seltene Leiden entwickelt.

Eine Verlängerung der Marktexklusivität für Kinderarzneimittel, die gleichzeitig Arzneimittel für seltene Leiden darstellen, ist nicht mehr vorgesehen.

Die Marktexklusivität kann sich damit auf maximal dreizehn (13) Jahre addieren, während sie heute noch bei zehn (10) Jahren (für Kinderarzneimittel bei zwölf (12) Jahren) gedeckelt ist.

Zu beachten ist, dass das Marktexklusivitätsrecht des Arzneimittels für seltene Leiden der Einreichung, Validierung und Beurteilung eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen eines ähnlichen Arzneimittels, einschließlich Generika und Biosimilars, nicht entgegensteht, wenn die verbleibende Dauer des Marktexklusivitätsrechts weniger als zwei (2) Jahre beträgt, vgl. Art. 71 Abs. 6 VO-E 2023/0131 (COD).

Antimikrobielle Mittel

Bisher nicht reguliert waren besondere Anforderungen bzw. Belohnungssysteme für die Entwicklung von antimikrobiellen Mitteln. Infolge der steigenden Antibiotika-Resistenz in der EU wurde im Rahmen des VO-E 2023/0131 (COD) ein „Gutscheinsystem“ geschaffen, mit dem die Erforschung und Entwicklung solcher Mittel belohnt werden soll. 

Es funktioniert so, dass die Entwickler von neuartigen, „revolutionären“ antimikrobiellen Mitteln übertragbare Gutscheine für den Unterlagenschutz erhalten. Der Inhaber des Gutscheins kann diesen dann für die antimikrobiellen Mittel selbst, allerdings auch für andere seiner Arzneimittel nutzen oder sogar einmalig an andere Hersteller übertragen, vgl. Art. 41 VO-E 2023/0131 (COD). Ein Gutschein gewährt dem Inhaber ein (1) zusätzliches Jahr Unterlagenschutz gegenüber Wettbewerbern, vgl. Art. 40 Abs. 2 VO-E 2023/0131 (COD).

Die Gutscheine werden nur unter strengen Auflagen ausgestellt und verwendet. Insbesondere darf ein Gutschein nur einmal und nur in Bezug auf ein einziges zentral zugelassenes Arzneimittel verwendet werden und nur, wenn sich dieses Arzneimittel innerhalb der ersten vier Jahre des gesetzlichen Unterlagenschutzes befindet. Zudem wird die Nutzung auf den Fall beschränkt, dass die Zulassung des vorrangigen antimikrobiellen Mittels, für das das Recht ursprünglich gewährt wurde, nicht zurückgezogen wurde.

Zu beachten ist, dass die Gutscheinregelungen bis 15 Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung oder bis zu dem Zeitpunkt gelten, an dem die Kommission insgesamt 10 Gutscheine gemäß diesem Kapitel gewährt hat, je nachdem, welcher Zeitpunkt der frühere ist, vgl. Art. 43 VO-E 2023/0131 (COD).

Arzneimittel für Kinder

Bisher werden Arzneimittel für Kinder durch die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 über Kinderarzneimittel reguliert. Diese soll durch den neuen Verordnungsentwurf aufgehoben werden. 

Anwendbar waren danach zwar nicht ausdrücklich, aber im Wege der Systematik die allgemeinen Schutzfristen der Richtlinie 2001/83/EG – und das nur bei der Zulassung eines neuen Wirkstoffes. Nach Art. 93 VO-E 2023/0131 (COD) sollen neuerdings die allgemeinen Schutzfristen nach den Artikeln 80 und 81 RL-E 2023/0132 (COD) jedoch auch Anwendung finden, wenn es sich um sog. „paediatric use marketing authorisations“ handelt. Dabei handelt es sich um eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Humanarzneimittels, das nicht durch ein ergänzendes Schutzzertifikat (SPC) oder durch ein Patent geschützt ist, das für die Erteilung des ergänzenden Schutzzertifikats in Frage kommt und therapeutische Indikationen abdeckt, die ausschließlich für die Verwendung bei Kindern relevant sind. Voraussetzung für die Anwendung der allgemeinen Schutzfristen ist, dass dem Antrag für eine „paediatric use marketing authorisation“ die Ergebnisse aller Studien, die in Übereinstimmung mit einem gebilligten pädiatrischen Prüfkonzept durchgeführt wurden, beigelegt werden.

Art. 36 der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 regelt, dass, wenn ein Genehmigungsantrag nach Artikel 7 oder 8 die Ergebnisse sämtlicher Studien enthält, die entsprechend einem gebilligten pädiatrischen Prüfkonzept durchgeführt wurden, dem Inhaber des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats eine sechsmonatige Verlängerung des SPC gewährt wird. 

Der Richtlinienentwurf übernimmt diese Regelung im Wesentlichen in seinem Art. 86. Danach erhält der Inhaber des Patents oder des ergänzenden Schutzzertifikats eine sechsmonatige Verlängerung der in Artikel 13 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 genannten Frist (fünf (5) Jahre), wenn der Zulassungsantrag die Ergebnisse aller Studien, die in Übereinstimmung mit einem gebilligten pädiatrischen Prüfkonzept durchgeführt wurden, enthält. Zu beachten ist jedoch, dass diese Verlängerung neuerdings nicht in Anspruch genommen werden kann, wenn bereits die Verlängerung des Unterlagenschutzes um ein (1) Jahr infolge einer Zusatzindikation in Anspruch genommen wurde, vgl. Art. 86 Abs. 1, 4 RL-E 2023/0132 (COD). Eine sechsmonatige Verlängerung des SPC ist jedoch auch dann nicht möglich, wenn es sich um „paediatric use marketing authorisations“ handelt, da diese qua Definition nicht durch ein SPC geschützt sein dürfen.

Zwangslizenzen

Eng verbunden mit der Thematik des Unterlagen- und Vermarktungsschutzes sind die von der Kommission in die Reform einbezogenen Zwangslizenzen. Würde der gesetzliche Unterlagenschutz in Kraft bleiben, würde dies effektive Nutzung der Zwangslizenz verhindern, da er die Zulassung von Generika behindert. Dies hätte schwerwiegende negative Folgen für Zwangslizenzen, die zur Bewältigung einer Krise erteilt werden, da der Zugang zu den für die Bewältigung der Krise benötigten Arzneimitteln behindert werden könnte. Der neue Art. 80 Abs. 4 RL-E 2023/0132 (COD) regelt daher, dass der Unterlagen- und Vermarktungsschutz in Bezug auf eine Partei, zu deren Gunsten die zuständige Behörde eine Zwangslizenz erteilt hat, für die Dauer der Zwangslizenz ausgesetzt wird, wenn eine Zwangslizenz zur Bewältigung eines Notfalls im Bereich der öffentlichen Gesundheit erteilt wurde. Die Aussetzung bedeutet, dass Unterlagen- und Vermarktungsschutz in Bezug auf den Lizenznehmer der Zwangslizenz keine Wirkung entfalten, solange diese Lizenz in Kraft ist. Wenn die Zwangslizenz endet, treten die Datenexklusivität und der Marktschutz wieder in Kraft. Zu beachten ist jedoch, dass die Aussetzung nicht zu einer Verlängerung der ursprünglichen Dauer der gesetzlichen Schutzfristen führen soll. Die Möglichkeit einer Erteilung von Zwangslizenzen wird in dem neuen Entwurf der EU-Kommission vom 27. April 2023 für eine Verordnung über Zwangslizenzen für das Krisenmanagement und zur Änderung der Verordnung (EG) 816/2006 aufgegriffen.

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