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Dr. Julia Freifrau von Imhoff

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22. Juni 2022

„Mutter aller Listen“ – Zur Erstbegehungs- und Wiederholungsgefahr i.S.v. § 6 GeschGehG

  • Briefing

Der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nach § 6 GeschGehG (entspricht inhaltlich Art. 10 der Richtlinie (EU) 2016/943) für das Hauptsacheverfahren und 12 der Richtlinie (EU) 2016/943) für einstweilige und vorläufige Maßnahmen) ist immer wieder Teil von Gerichtsentscheidungen. Grundsätzlich gilt: Ein unbefugtes Erlangen, Nutzen und Offenlegen von fremden Geschäftsgeheimnissen indiziert eine Wiederholungsgefahr und begründet einen Unterlassungsanspruch nach § 6 S. 1 Var. 2 GeschGehG. Daneben besteht der Unterlassungsanspruch auch, wenn eine solche Rechtsverletzung erstmalig droht (sog. Erstbegehungsgefahr, § 6 S. 2 GeschGehG). Die vorgenannte Wiederholungsgefahr kann grundsätzlich nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung durch den Rechtsverletzer ausgeräumt werden, was vom Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm (10 SaGa 9/21) mit Urteil vom 23. Juni 2021 bestätigt wurde. Dieses hat festgestellt, dass (1) ein unbefugtes Erlangen von fremden Geschäftsgeheimnissen eine Wiederholungsgefahr indiziere, (2) diese grundsätzlich nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden könne und (3) andernfalls bei dem Fehlen einer solchen ein besonderer Ausnahmefall vorliegen müsse.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: 

Sachverhalt

Die Verfügungsklägerin ist Lieferantin von Verarbeitungsanlagen. Der Verfügungsbeklagte war bei dieser als „Global Sales Direktor“ angestellt. Nachdem der Verfügungsbeklagte seinen Anstellungsvertrag gekündigt hatte, übermittelte er sich noch während seiner Anstellung bei der Verfügungsklägerin drei E-Mails von seinem dienstlichen an seinen privaten E-Mail Account. Diese enthielten jeweils Geschäftsgeheimnisse der Verfügungsklägerin, u.a. eine Excel Datei „180503_mutter_aller_listen.xlsx“ mit Marktanalysedaten. Der Verfügungsbeklagte kündigte der Verfügungsklägerin zudem eine künftige Beschäftigung bei einem ihrer Konkurrenten an. Nachdem die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten freigestellt hatte, begehrte diese gerichtlich die Unterlassung der Erlangung, Nutzung und/oder Offenlegung der Dateien. Der Verfügungsbeklagte hatte zwischenzeitlich die Löschung sämtlicher Dateien wie auch die Nichtweitergabe der Dateien an Dritte gegenüber der Verfügungsklägerin an Eides statt versichert, jedoch keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben.

Rechtliche Würdigung

Das LAG Hamm bestätigte die Auffassung der Vorinstanz (Arbeitsgericht (ArbG) Detmold (2. Kammer), Urteil vom 05. Mai 2021 – 2 Ga 1/21) in der Hinsicht, dass eine Wiederholungsgefahr grundsätzlich nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden könne. Insbesondere entfalle sie nicht allein deshalb, weil ein Wiedereintreten gleichgelagerter Umstände aufgrund veränderter Tatsachen nicht zu erwarten sei. Im konkreten Fall sei aber trotz dieses grundsätzlich strengen Maßstabs eine Wiederholungsgefahr der Verletzung von Geschäftsgeheimnissen gleichwohl ausgeschlossen, weil ein erneutes Erlangen derselben wegen der Freistellung des Verfügungsbeklagten ausgeschlossen sei. Der Verfügungsbeklagte habe erwartungsgemäß keinen Zugriff (mehr) auf die Dateien. Selbst bei Anfertigen einer Kopie derselben durch den Verfügungsbeklagten könne nicht von einem erneuten „Erlangen“ “ i.S.d. § 4 Abs. 1 GeschGehG ausgegangen werden, weil deren (erneute) Vervielfältigung deren unbefugte „Nutzung“ i.S.d. § 4 Abs. 2 GeschGehG sei.

Da der Verfügungsbeklagte jedoch keine strafbewehrte Unterlassungserklärung gegenüber der Verfügungsklägerin abgegeben habe, konnte er nach Ansicht des LAG Hamm (und damit entgegen den Ausführungen der Vorinstanz) eine Wiederholungsgefahr in Bezug auf die Nutzung bzw. Offenlegung der Geschäftsgeheimnisse nicht einmal im Ansatz ausräumen. Die Hürden der Rechtsprechung, wonach die Wiederholungsgefahr ausnahmsweise entfalle, habe der Verfügungsbeklagte nicht überwunden. Dessen Angabe in der eidesstattlichen Versicherung, alle Dateien gelöscht und nicht zuvor weitergegeben zu haben, genüge den Anforderungen an die Widerlegung nicht. Denn die vom Verfügungsbeklagten behauptete Löschung besage nicht, dass sich die Inhalte der Geschäftsgeheimnisse nicht noch in anderer Form in dessen Besitz befänden. Naheliegendes Motiv für die Versendung der Dateien an den privaten E-Mail Account sei vielmehr deren anderweitig beabsichtigte Verwendung. Schließlich habe der Verfügungsbeklagte schon Kontakt zu einem Konkurrenten, bei dem er eine künftige Tätigkeit antreten werde. Die Erklärungen des Verfügungsbeklagten seien insofern als bloße Schutzbehauptungen zu werten.

Praxishinweis

Die Entscheidung des LAG Hamm ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen lehnt das LAG Hamm unter systematischem Verweis auf die weitere Handlungsalternative der unbefugten „Nutzung“ ein erneutes „Erlangen“ der Geschäftsgeheimnisse ab. Diese systematischen Erwägungen gehen jedoch weder aus der Gesetzesbegründung hervor, noch ergeben sich diese aus der zugrundeliegenden Richtlinie.  Zum anderen hält das LAG Hamm aber an dem Grundsatz fest, dass eine indizierte Wiederholungsgefahr regelmäßig nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung entfallen kann. Auf eine an Eides statt versicherte Löschung der Geschäftsgeheimnisse oder etwa deren versicherte Nichtweitergabe an Dritte kommt es dem LAG Hamm zufolge nicht an. So entsteht ein Gleichlauf mit dem Wettbewerbsrecht, in dessen Rahmen es regelmäßig der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung bedarf.

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