Das BAG begehrt in seiner Vorlage an den EuGH vom 16.10.2018 (Az.: 3 AZR 139/17) die Klärung der Frage, in welchem Rahmen der Erwerber eines Betriebs aus der Insolvenz des Veräußerers für Betriebsrenten gemäß § 613a BGB übergegangener Arbeitnehmer haften muss und ob seine bislang praktizierte erwerberfreundliche teleologische Reduktion des § 613a Abs. 1 BGB in diesem Zusammenhang unionsrechtskonform ist.
I. Einleitung
Nach der gesetzlichen Systematik haftet der Betriebserwerber grundsätzlich gem. § 613a Abs. 1 BGB für die vom Veräußerer zugesagte betriebliche Altersversorgung der übernommenen Arbeitnehmer. Im Hinblick auf die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts nimmt das BAG jedoch bislang nach seiner ständigen Rechtsprechung eine teleologische Reduktion des § 613a Abs. 1 BGB vor, wonach der Erwerber nicht für den Teil der Betriebsrente haftet, der auf eine Betriebszugehörigkeit beim Veräußerer vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückzuführen ist. Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen beabsichtigt das BAG nun, die Vereinbarkeit dieser bisherigen Rechtsprechung mit dem Unionsrecht, insbesondere mit der Richtlinie 2001/23/EG (Betriebsübergangs-Richtlinie) prüfen zu lassen.
II. Sachverhalt
Dem Kläger war über eine Gesamtbetriebsvereinbarung (Versorgungsordnung) eine betriebliche Altersrente zugesagt worden, für die der Veräußerer einzustehen hatte. Nach der Versorgungsordnung berechnet sich die Betriebsrente nach der Anzahl der Dienstjahre und der – zu einem bestimmten Stichtag vor dem Ausscheiden – erzielten monatlichen Bruttovergütung. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Veräußerers wurde der Betrieb im Wege des Betriebsübergangs gemäß § 613a Abs. 1 BGB übertragen.
Seit August 2015 erhält der Kläger von der Beklagten eine betriebliche Altersrente auf der Grundlage der Versorgungsordnung in Höhe von ca. 145 Euro monatlich. Entsprechend der bislang ständigen Rechtsprechung des BAG berücksichtigte die Beklagte bei der Berechnung jedoch nur die Betriebszugehörigkeitszeiten des Klägers, die im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht worden waren (sog. „future services“).
Aufgrund der Insolvenz seiner früheren Arbeitgeberin erhält der Kläger zudem eine Betriebsrente in Höhe von ca. 817 Euro vom Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) als gesetzlich bestimmtem Träger der Insolvenzsicherung für die betriebliche Altersversorgung. Bei der Berechnung legte der PSV – entsprechend der ausdrücklichen Regelung in § 7 Abs. 2 Satz 6 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) – die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach der Versorgungsordnung maßgebliche monatliche Bruttovergütung des Klägers zugrunde. Spätere Gehaltserhöhungen während der Betriebszugehörigkeitszeiten beim Betriebserwerber ließ der PSV außer Betracht (sog. „Festschreibeeffekt“).
Diese Praxis führt dazu, dass der Kläger im Ergebnis eine niedrigere Betriebsrente erhält, als in der ursprünglichen Betriebsrentenzusage vorgesehen. Dies ergibt sich daraus, dass er sich im Rahmen des Anwartschaftswerts gegenüber dem Betriebserwerber einerseits nicht auf die gesamte tatsächliche Betriebszugehörigkeitszeit (einschließlich der Zeiten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens) berufen kann und anderseits aber seitens des PSV die nach dem Betriebsübergang erfolgte Gehaltsdynamik unberücksichtigt bleibt.
Der Kläger ist der Ansicht, dass im Rahmen der vom Betriebserwerber zu zahlenden Betriebsrente auch die Betriebszugehörigkeit vor der Insolvenz bei der Berechnung berücksichtigt werden müsse. Der Berechnung müsse sein Gehalt beim Stichtag vor dem Versorgungsfall abzüglich der durch den PSV gezahlten Altersrente zugrunde gelegt werden. Nach dieser Berechnung würde sein Anspruch auf Betriebsrente gegenüber dem Betriebserwerber monatlich um ca. 150 Euro ansteigen.
III. Vorlagebeschluss
Nach der derzeitigen Auslegung des nationalen Rechts durch die Arbeitsgerichte, insbesondere nach derzeitiger Rechtsprechung des BAG, würde die Klage abgewiesen. Die Beklagte wäre aufgrund der beschriebenen Haftungsprivilegierung durch teleologische Reduktion des § 613a Abs. 1 BGB gerade nicht verpflichtet dem Kläger eine Betriebsrente zu gewähren, deren Höhe sich nach den Bestimmungen der Versorgungsordnung unter bloßem Abzug des Betrags errechnet, den der Kläger aufgrund der Insolvenz seiner früheren Arbeitgeberin vom PSV erhält.
Gegenstand der Vorlagefrage des BAG ist im Wesentlichen, ob die beschriebene teleologische Reduktion des § 613a Abs. 1 BGB im Fall eines Betriebsübergangs in der Insolvenz mit Art. 3 Abs. 4 sowie Art. 5 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2001/23/EG (Betriebsübergangs-Richtlinie) vereinbar ist. Diese unionsrechtlichen Bestimmungen sehen vor, dass fällige Verbindlichkeiten des Veräußerers aufgrund des Arbeitsverhältnisses nicht auf den Erwerber übergehen, sofern notwendige Schutzmaßnahmen seitens der Mitgliedstaaten getroffen sind. Demnach stellt sich die Frage, ob der Schutz über den PSV insoweit als eine solche notwendige mitgliedsstaatliche Schutzmaßnahme ausreichend ist.
Zu klären ist aus Sicht des BAG daher, welche konkreten Anforderungen die europäischen Regelungen an das mitgliedsstaatliche Mindestschutzniveau bzw. die notwendigen Schutzmaßnahmen stellen. Vor allem stellt sich die Frage, welche Folgen – auch im Verhältnis der Arbeitnehmer zum PSV – ein Nichtausreichen des nationalen Schutzes und somit eine Unvereinbarkeit der derzeitigen Auslegung durch das BAG mit den unionsrechtlichen Vorgaben hätte. Letztlich ist also – vereinfacht gesagt – zu klären, ob ein etwaig weitergehender Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Betriebsrente besteht und ob für diesen der Betriebserwerber oder der PSV aufkommen muss.
Sollten die notwendigen Schutzmaßnahmen nach dem Unionsrecht also erfordern, dass ein Insolvenzschutz auch für den Teil der zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bereits erdienten Versorgungsanwartschaft des Klägers erforderlich ist, der auf einer Vergütungssteigerung nach dem Betriebsübergang aus der Insolvenz heraus beruht, stellt sich die Frage nach einer Realisierung dieses Schutzes. Eine Umsetzung über eine bloße unionsrechtskonforme Auslegung des § 7 Abs. 2 S. 6 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) muss wegen der klaren gesetzlichen Konzeption der Norm ausscheiden. Diese stellt insoweit eindeutig heraus, „dass Veränderungen der Versorgungsregelung und der Bemessungsgrundlagen, die nach dem Eintritt des Sicherungsfalles eintreten, nicht zu berücksichtigen“ sind.
Entsprechende Ansprüche könnten demnach allenfalls auf eine unmittelbare Geltung von Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG (Zahlungsunfähigkeits-Richtlinie) gestützt werden, der den Mitgliedsstaaten eine Absicherungspflicht und ebenfalls Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen auferlegt. Das BAG hat allerdings bereits Bedenken geäußert, ob eine solche unmittelbare Geltung dieser Regelung zur Gewährung des Schutzniveaus des Unionsrechts ausreichend ist.
Eine unmittelbare Geltung des Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG (Zahlungsunfähigkeits-Richtlinie), hätte jedenfalls die Folge, dass sich der Kläger gegenüber dem PSV auf ihren Schutzzweck berufen könnte.
IV. Praxishinweis
Die Entscheidung des EuGH steht derzeit aus und könnte eine erhebliche Sprengkraft haben, wenn der EuGH die bisherige Rechtsprechung des BAG für unionsrechtswidrig befindet. Sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass eine volle Haftung des Erwerbers für die Betriebsrentenansprüche, einschließlich der Anwartschaften für Dienstzeiten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, lediglich abzüglich der vom PSV geleisteten Zahlungen besteht, würde dies den Erwerb eines Betriebes aus der Insolvenz bei bestehenden Versorgungszusagen wirtschaftlich wesentlich unattraktiver machen und Sanierungsmaßnahmen zumindest erheblich erschweren.
Das BAG geht davon aus, dass die bisherige Handhabung den unionsrechtlich gebotenen Schutz gewährleistet, obwohl weder der Betriebserwerber noch der PSV für Anwartschaftszuwächse durch eine Entgeltdynamik nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eintritt. Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH diese Auffassung teilt und den durch das Unionsrecht eingeräumten Spielraum der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung in Sanierungsfällen respektiert. Andernfalls müssten sich Erwerber, die Betriebe nach einer Insolvenz übernehmen bzw. oder auch bereits übernommen haben, auf entsprechend höhere Versorgungskosten einstellen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein möglicher Vertrauensschutz in Hinblick auf den Fortbestand einer ständigen Rechtsprechung, insbesondere auf eine bestimmte Auslegungsweise durch das Bundesarbeitsgericht, nur in sehr engen Grenzen besteht.
Ein negativer Effekt in Hinblick auf die Attraktivität von Betriebsübergängen aus der Insolvenz des Veräußerers heraus blieb nur dann aus, wenn der EuGH zu dem Ergebnis kommt, dass der durch das Unionsrecht geforderte Schutz der Arbeitnehmer verlangt, dass die Berechnung der durch den PSV zu zahlenden Altersrente auch die Gehaltsdynamik zwischen Insolvenz und Versorgungsfall beinhalten muss und den Arbeitnehmern insoweit ein unmittelbarer Anspruch gegenüber dem PSV aus Art. 8 der Richtlinie 2008/94/EG (Zahlungsunfähigkeits-Richtlinie) zusteht. Allerdings wäre in diesem Fall zu klären, in welchem Verhältnis der Erwerber und der PSV untereinander für die gestiegenen Ansprüche haften würden.